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"Besonders und besonders schwierig"

  • Autorenbild: Elisabeth Helena Knetsch
    Elisabeth Helena Knetsch
  • 21. Juli 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Besser lässt sich der Beziehungsstatus Deutschlands zum Judentum und zu Israel kaum beschreiben. Trotz anhaltender Bemühungen um Freundschaft steigt die Zahl antisemitischer Straftaten seit Jahren. Auch der von der derzeitigen israelischen Regierung eingeschlagene, antidemokratische und kompromisslose Kurs trägt nicht zur Entspannung der Verhältnisse bei. Mit Dr. Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, spreche ich über komplizierte Beziehungen und warum es sich für sie zu kämpfen lohnt.


Der von der Bundesregierung eingesetzte, aber unabhängige Expertenkreis definiert Antisemitismus als „Sammelbezeichnung für Einstellungen und Verhaltensweisen, die als jüdisch wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen negative Eigenschaften zuschreiben“. Warum ist Antisemitismus nicht nur ein Problem Einzelner mit dieser Zuschreibung, sondern eins der gesamten Gesellschaft?


Klein: Der unabhängige Expertenkreis betont, dass Antisemitismus als jüdisch wahrgenommenen Personen, Gruppen und Institutionen widerfahren kann, unabhängig davon, ob sie jüdisch sind oder nicht. Zumeist sind Jüdinnen und Juden betroffen, aber Antisemitismus kann jeden treffen. Ihm liegt der Verschwörungsglaube zugrunde, dass eine kleine Gruppe privilegierter Menschen von einer Ungerechtigkeit profitiert, die alle anderen aushalten müssen. Dieses Grundnarrativ antisemitischer Verschwörungstheorien ist allgemein demokratiefeindlich, und das geht uns alle an!


„In Deutschland hat sich an der Zahl der Menschen mit antisemitischem Gedankengut relativ wenig geändert, nur ist es wieder gesellschaftsfähiger geworden. Wir müssen dafür sorgen, dass Antisemitismus wieder verpönter wird.“ Das haben sie einmal in einem Interview gesagt. Halten Sie es für sinnvoll, nur die Symptome zu lindern, anstatt die die Krankheit zu bekämpfen?


Klein: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir müssen präventiv dafür sorgen, dass Antisemitismus erst gar nicht entsteht. Neben Bildung und Aufklärung sind Begegnungsmöglichkeiten entscheidend: Bereits in Kindergärten und in Schulen müssen junge Menschen vertraut werden mit dem Judentum und anderen Glaubensrichtungen. Das geht auch in spielerischer Form: Meine Tochter beispielsweise hat im Kindergarten neben Weihnachten auch Chanukka gefeiert. Gleichwohl muss ich feststellen, dass es einen stabilen Prozentsatz von etwa 10 bis 15 Prozent der Menschen in unserem Land gibt, die ein gefestigtes antisemitisches Weltbild haben oder dafür anfällig sind. Es ist wichtig, dass die Hemmschwelle für antisemitische Äußerungen und Handlungen erhöht wird, und dass, sofern Taten auch strafrechtlich relevant sind, Polizei und Staatsanwaltschaft auch repressiv dagegen vorgehen können. Die Bekämpfung von Antisemitismus ist nicht nur Aufgabe des Staates oder der Schulen. Besonders die Gesellschaft muss sich ihr stellen: Wenn Antisemitismus auftritt, ob im realen oder im digitalen Raum, dürfen anwesende Menschen nicht schweigen. Denn Schweigen werten die Täter immer als Zustimmung und als Aufruf, weiterzumachen. Wenn das so bleibt, ändert sich nichts.


Sie haben erwähnt, dass 10 bis 15 Prozent der deutschen Bevölkerung ein Weltbild haben, dass tendenziell oder sogar gefestigt antisemitisch ist. Ist es überhaupt möglich, Antisemitismus ganz aus dem Gedankengut von Menschen zu verbannen?


Klein: Ich glaube schon. In anderen Bereichen hat unsere Gesellschaft gezeigt, dass sie in der Lage ist, kulturprägende negative Phänomene zu überwinden. Denken Sie zum Beispiel an den Hass auf Frankreich. Obwohl über Jahrhunderte mit dem absurden Konstrukt der Erbfeindschaft Politik gemacht wurde, ist die sogenannte „Frankophobie“ vollkommen überwunden. Warum sollte das mit Antisemitismus nicht gelingen? In den letzten fünf Jahren haben wir Erfolge etwa hinsichtlich des öffentlichen Bewusstseins erzielt: In diesem Zeitraum ist der Anteil der Menschen in Deutschland, die Antisemitismus als ein Phänomen und schwerwiegendes Problem in der Gesellschaft wahrnehmen, von 20 Prozent auf über zwei Drittel gestiegen. Auch wenn es Rückschläge, wie insbesondere den Anschlag von Halle, gab: Dass immer mehr Menschen die Diagnose stellen, dass Antisemitismus ein verbreitetes und gefährliches Phänomen ist, ist der erste Schritt um ihn zu bekämpfen und zu überwinden.


Eine weitere Diagnose, die man stellen muss, ist, dass der sogenannte israelbezogene von allen Erscheinungsformen des Antisemitismus am weitesten verbreitet ist. Etwa 40 Prozent der befragten Deutschen stimmen Aussagen zu, die israelbezogenem Antisemitismus beinhalten. Was sind die besonderen Problematiken von israelbezogenen Antisemitismus?

Klein: In Israel, wie in jedem Land, gibt es Phänomene, die kompliziert sind und die man kritisieren kann, die Siedlungspolitik oder den Verlauf der Sperranlage zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten beispielsweise. Doch solche Kritik wird häufig als Einfallstor missbraucht, um antisemitisches Gedankengut in der Gesellschaft zu verbreiten.

Die Bekämpfung israelbezogenen Antisemitismus ist deshalb so schwierig, weil Innen- und Außenpolitik sehr stark ineinandergreifen. Vor Ort gibt es einen Konflikt, der sich aber in Deutschland auswirkt: Oft wird das bewusst von rechtsextremen Menschen, unbewusst aber auch von Menschen in der Mitte der Gesellschaft vermengt.


Das Handeln der derzeitigen rechtsreligiösen israelischen Regierung setzt nicht nur - in Teilen mutwillig - eine Eskalation des Nahostkonflikts aufs Spiel, sondern auch die Gewaltenteilung und Demokratie. Die deutsche Politik positioniert sich dazu vergleichsweise zurückhaltend. Wäre es nicht wichtig, sich klar mit der israelischen Zivilgesellschaft zu solidarisieren - nicht trotz, sondern gerade wegen der besonderen Verantwortung Deutschlands nach der Shoah?


Klein: Zunächst einmal: Israelische Innenpolitik ist Israels Sache. Daran, wie die israelische Gesellschaft um die Justizreform ringt, zeigt sich auch, wie lebendig die israelische Demokratie ist. Jüdinnen und Juden in Israel und weltweit in Kollektivhaftung für israelisches Regierungshandeln zu nehmen, erscheint angesichts dessen umso absurder.

Dennoch beobachten wir diese Entwicklungen von Deutschland aus, teils auch mit Sorge. Deutschland und Israel sind befreundete Staaten und unter Freunden sollte man immer wieder das Gespräch suchen und sich auch kritisieren. Beispielsweise ist gerade der jüngste Entscheid zum Siedlungsbau deutlich vom Auswärtigen Amt kritisiert worden. Insbesondere hinter verschlossenen Türen werden dann auch einige Dinge ausgetauscht, die der andere nicht so gerne hört.

Gleichwohl ist das Verhältnis zwischen Länden immer durch ihre gemeinsame Geschichte geprägt. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders im Verhältnis zu Israel: Deutschland ist durch seine Geschichte in einer Art und Weise mit Israel verbunden wie mit keinem anderen Land. Das macht es besonders und auch besonders schwierig, israelische Politik von deutscher Seite zu kritisieren. Dennoch geschieht es.


Sie sind nicht nur Beauftragter für den Kampf gegen Antisemitismus, sondern auf für jüdisches Leben. Jüdisches Leben in Deutschland ist viel mehr als nur von Antisemitismus gefährdet. Wie setzen Sie sich dafür ein, dass jüdisches Leben selbstverständlicher Teil von Deutschland wird und bleibt?


Klein: Der berühmte deutsche Rabbiner Leo Baeck hat nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Theresienstadt gesagt: „Die Epoche der Juden in Deutschland ist ein für alle Mal vorbei.“ Angesichts dessen und der Ausgangssituation 1945 ist es ein Wunder, wie sich jüdisches Leben in Deutschland entwickelt. Jüdisches Leben ist eine aus meiner Sicht noch zu zarte Pflanze, deshalb müssen wir sie stärken. Staatlicherseits tun wir das bereits mit Sichtbarmachung und Förderung: Die Initiative 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland im Jahr 2021 beispielsweise war ein großer Erfolg, an den wir anknüpfen müssen. Viele Städte wie Leipzig und Frankfurt am Main veranstalten jüdische Kulturtage, die mit kulturellen Veranstaltungen Neugier auf jüdisches Leben wecken sollen. Doch jüdisches Leben sollte nicht nur in großen Städten und in der Kultur präsent sein. Es sollte auch in ländlicheren Regionen etwas Selbstverständliches sein, das zur Realität in unserem Land dazugehört. Um das gut umsetzen, braucht es nicht nur Geld, sondern Strukturen und vor allem engagierte Menschen. Die gute Nachricht ist: Die gibt es wirklich überall in Deutschland. Mit diesem Diktum hatte Leo Baeck also wirklich nicht recht – zum Glück.


Foto: Bundesministerium des Inneren und für Heimat

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