Erinnerst Du Dich an diese Zeit - Teil 1
- Elisabeth Helena Knetsch
- 3. Sept. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Sept. 2023
Erinnerst Du Dich an diese Zeit? Als Raum und Zeit anders waren? Als Du noch unbefangen und klar, Kind warst? Als Du jeden Tag stundenlang sitzen und bunte Fäden aneinander weben konntest?
Auf Deinem Rahmen entstand Faden für Faden ein kleiner Teppich. Er hatte eigenwillige Fäden und Farben, Abschnitte und Übergänge, von denen einige leichter und andere schwerer zu weben waren.
Eines Tages war ein Teppich entstanden: Er war ehrlich, bunt und uneben und wahr. Von Dir gemacht. Du warst stolz darauf.
Wie ein solcher Teppich ist Dein Leben.
Um mich an die Zeiten meines Lebens zu erinnern, möchte ich am Ende jedes Abschnitts einige Fragen beantworten. Das hier ist
Teil 1 - Oktober 2022 bis August 2023
Wie geht es Dir gerade?
Ich befinde mich mitten in meinem Umzug von Berlin nach Amsterdam. Ich bin unruhig.
Erstens, weil diese Zeit des Umbruchs mit einer intensiven Auseinandersetzung mit mir selbst und meinen Gedanken einhergeht. Damit kann ich nicht immer gut umgehen: In einigen Fällen hat die Auseinandersetzung mit meinen Gedanken zu Erkenntnissen und diese wiederum zu Entwicklung und Veränderung geführt. In anderen Fällen aber führt die Auseinandersetzung mit meinen Gedanken zwar zu Erkenntnissen, nicht aber zu Entwicklung und Veränderung. Sie bilden eine Endlosschleife. Je mehr Zeit und Energie ich investiere, desto mehr verfalle ich ihr.
Zweitens bin ich unruhig, weil ich voller Erwartung in eine ungewisse Zukunft blicke. Ich spüre einen starken Willen, anzukommen. Anzufangen, an diesem neuen Ort, mit diesem neuen Studium, umgeben von neuen Menschen. Doch mit Ausnahme meiner Art des Umgangs damit liegt all das nicht in meiner Hand, sondern in Ungewissheit.
Ich weiß, dass auch diese Zeit des Umbruchs und der Ungewissheit vorbeigehen wird. Das beruhigt mich.
Auf welche Zeit blickst Du zurück?
Die Zeit, die hinter mir liegt, war eine des Zusammennähens und des (Neu-) Konzipierens. Sie begann mit dem Ende meines Freiwilligendiensts im Sommer und dem Anfang meines Jura-Studiums in Berlin im Herbst 2022. Ich dachte, ich könnte nahtlos von einem Abschnitt meines Lebens in den nächsten übergehen – und irrte.
„Israel“ war ein Abschnitt meines Lebens, der sich grundlegend von allen bisherigen unterschied. Ich musste lernen, ihn an mein bisheriges Leben anzunähen und seine Fäden auch in mein zukünftiges Leben einzuweben. Der Abschnitt „Israel“ hat die Gestalt meiner Vergangenheit und die Gestaltung meiner Zukunft verändert und in meinem Leben die erste offensichtliche Naht hinterlassen.
Doch anstatt mir Zeit zu nehmen, für die Gestaltung des Übergangs und der Zukunft, begann ich ein Studium. Ich begann es mit einem Gefühl der Unsicherheit und behielt es. Ich fühlte mich eingeengt von der Formalisierung und gelähmt von der geringen didaktischen Variabilität. Im Studium fehlte mir der Raum für kritische Betrachtung und alternative Lösungen. In der Reflexion des Studiums fehlte mir selbst der Mut, diesen Raum selbst zu betreten.
Welche Freuden und Belastungen, welche Errungenschaften prägten diese Zeit?
Die größte Freude der vergangenen Zeit war eine Erkenntnis: Ich entdeckte Journalismus als einen Beruf, den nicht nur ich bekleiden, sondern der vielmehr auch mich einkleiden würde – mit meinen Talenten und Leidenschaften, aber auch mit meinen Fragen und Zweifeln und Bestreben.
Diese Erkenntnis stellte mich vor eine Entscheidung: Entweder würde ich an meinem angefangenen Studium festhalten und, um den Schein eines makellosen Lebens zu wahren, mich selbst betrügen. Oder ich würde mein Studium wechseln und ehrlich zu mir sein, aber den ersten nicht zu retuschierenden Makel auf meinem Leben tragen. Ich erinnere mich, wie sehr diese Entscheidung und ihre Konsequenzen mich ängstigten und dass ich sie nur gegen große innere Widerstände mir selbst und anderen eingestand. Ich entschied mich, mein Studium zu wechseln.

Die Entscheidung selbst ist für mich nicht die wichtigste Errungenschaft. Es ist die Tatsache, dass sie mein Denken verändert hat. Ich strebe nun danach, bei der Gestaltung und Bestreitung meines Weges nicht die Erwartungen der Gesellschaft, sondern meine eigenen Wünsche und Überzeugungen zu erfüllen. Und ich strebe nach meinem ersten offensichtlichen Misserfolg nicht mehr nach einem retuschierenden, sondern einem ehrlichen Umgang mit Scheitern. Es sind die Brüche und die Nähte, die ein echtes Leben ausmachen. Mutig ist, wer sie zeigt. Wert gibt es nur durch Wahrheit.
Wer hat Dich begleitet?
Ich hätte diesen Weg unmöglich allein gehen können. Ich hatte den Mut zur Ehrlichkeit nur aufgrund des Gefühls, gehalten zu sein. Allen, die zu diesem Gefühl beigetragen haben, bin ich so dankbar. Insbesondere Dir, א. Du mir gezeigt hast, was Bedingungslosigkeit ist. Ich liebe Dich.
Welche Zeit liegt vor Dir?
Die Zeit, die vor mir liegt, ist eine des Umsetzens und des (Weiter-) Gestaltens. Ich beginne ein neues Studium, Politics, Psychology, Law and Economics (PPLE) in Amsterdam und vielleicht bereits in diesem Jahr eine journalistische Ausbildung. Ich will meine Pläne umsetzen und die Fäden, die ich aus der Vergangenheit übernehme, in meine Zukunft einweben. Aber ganz besonders will ich mich immer wieder erinnern:
Es gibt Zeiten des Umbruchs und des Umsetzens, der Unruhe und der Erkenntnis, des Erfolgs und des Scheiterns. Es gibt Abschnitte und Übergänge, von denen einige leichter und manche schwerer zu leben sind. Eines Tages wird ein Leben entstanden sein. Und ich hoffe, es wird ehrlich, bunt und uneben und wahr sein. Gemacht von mir. Ein Leben, auf das ich stolz sein werde.

Errata: unnötige Wortwiederholung
"Entweder würde ich an meinem an meinem angefangenen Studium festhalten und [...]"